European-American Evangelistic Crusades

             
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Eltern ehren, die es eigentlich nicht verdient haben


 
von Timothy Ochinsky  
 
Wie kann man Eltern ehren, die scheinbar keine Ehre verdient haben? Das ist eine schmerzhafte Frage, die jedoch für viele Menschen sehr wichtig ist. Eltern haben im Allgemeinen einen sehr schlechten Ruf in unserer Zeit, wo jeder seine Seele auf der Zunge trägt und offen über Traumata spricht, die sein/ihr Leben geprägt haben. Viele sind sehr zornig und tragen eine Menge negative Gefühle gegen ihre Eltern im Herzen, gegen ihre Kindheit, und wie sie verletzt wurden als sie noch besonders verletzlich, beeindruckbar und schutzbedürftig waren.
 
Und doch sagt das fünfte der Zehn Gebote: “Ehre deinen Vater und deine Mutter!” Es geht sogar noch weiter und verspricht als Ausfluss dieses Tuns ein langes Leben. Wenn die Zehn Gebote im 5. Buch Mose schließlich noch einmal wiederholt werden, wird sogar noch ein weiteres Element hinzugefügt: dass du dieses lange Leben in Frieden führen darfst und dass es ein
gutes Leben sein wird.
 
Was genau sind also unsere Verpflichtungen gegenüber unseren Eltern und was soll dieses ganze Konzept des Ehrens der Eltern überhaupt – besonders in einer Situation, wo man gar nicht meint, dass sie Ehre verdient hätten und es sogar ernsten Missbrauch gab.
 
Jedes Kind betrachtet seine Eltern als Quelle der Nahrung und des Trostes, die sogar weniger gute Eltern (abgesehen von Extremfällen) in der Regel zumindest zu einem gewissen Grad bieten und erlebt durch dieselben Eltern aber auch Verletzungen. Wie bekommt man diese beiden Empfindungen unter einen Hut?
 
Für ein Kind – ja, sogar noch für einen Erwachsenen – ist das sehr verwirrend, aber als Erwachsene verfügen wir zumindest über die Fähigkeit, diese Dinge zu trennen. Bei Kindern allerdings ist diese Fähigkeit noch nicht ausgeprägt und das ist ein großes Dilemma. Da bieten die Eltern einerseits einiges an liebevoller Umsorgung und andererseits vermitteln sie vielleicht bestimmte Werte, die man einfach nicht annehmen kann und als fehlerhaft erkennt („Die Lügen, die mein Vater mir immer erzählt hat“), und erkennt zum ersten Mal, dass die Eltern nicht vollkommen sind.

Was bedeutet nun das Gebot “Ehre deine Eltern” genau? Wo kann überhaupt Raum bleiben, irgendjemanden außer Gott zu ehren? Es stimmt, unsere Eltern mögen uns vielleicht versorgt haben. Wenn sie gute Eltern waren, haben sie uns Geborgenheit geschenkt. Viele Eltern sind selbstlos in ihrer Liebe und Hingabe an ihre Kinder. Aber eigentlich sollten wir doch Gott allein ehren, der uns Leben schenkt – oder?
 
An der Geburt eines Kindes sind drei Parteien beteiligt: die Mutter, der Vater und Gott. Die Eltern stellen sozusagen das Material bereit, aus dem der Körper gemacht ist. Gott steuert die Seele bei. Gott ist also der dritte Partner im Bunde – der Schöpfer des Lebens.
 
Die Geburt eines Kindes sollte also doch wohl eher Gott ehren und nicht die Eltern. Wir erkennen in der Schöpfung ja auch keinerlei Form von „Partnerschaft“ mit Gott an. Eine der faszinierenden Antworten auf diesen Zwiespalt ist, dass wir, wenn wir unsere Eltern ehren, in Wirklichkeit Gott ehren, der uns durch unsere Eltern das Leben schenkte.

Im Grunde handelt es sich bei dem Gebot also eigentlich um eine Anerkennung Gott gegenüber. Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn man beispielsweise vor der Entscheidung steht, Gott zu gehorchen oder den Eltern, dann hat Gottes Gebot auf jeden Fall den höheren Rang. Die Eltern zu ehren ist kein Selbstzweck. Hinter diesem Gebot steht eine Bedeutung – über diesen „Zwischenschritt“ Gott zu ehren.
 
Ich möchte auch betonen, dass das Gebot lautet “Ehre deine Eltern” und nicht “Liebe deine Eltern”. Die Eltern zu ehren
kann natürlich einschließen, dass man sie auch liebt, aber das ist optional. Dagegen gibt es das Gebot, Gott zu lieben und unseren Nächsten zu lieben. Warum gibt es kein Gebot, unsere Eltern zu lieben? Weil sie unsere Liebe nicht immer verdienen. Doch wenn wir das Leben nicht ehren, das uns Gott durch unsere Eltern geschenkt hat, dann entehren wir dadurch letztendlich nicht unsere Eltern, sondern uns selbst.
 
Kein Mensch hat das Recht, eine andere Person zu misshandeln, auch nicht verbal. Das gilt auch für das Verhalten von Kindern (auch erwachsenen Kindern) gegenüber Eltern, die ihr Bestes getan haben um angemessen für das Kind zu sorgen. Selbst wenn das (erwachsene) Kind Verhaltensweisen oder Entscheidungen der Eltern als unangemessen betrachtet, fällt dies nicht ins Gewicht, weil dieses Gebot „Ehre deine Eltern“ ein
bedingungsloses Gebot ist. Genau deshalb heißt es ja nicht “Liebe deine Eltern”. Doch “ehren” bezieht sich wie gesagt auf das Leben, das einem Menschen durch die Eltern geschenkt wurde. Wenn die Eltern sich zusätzlich auch noch so verhalten haben, dass es Respekt verdient, dann dehnt sich dieses Gebot, die Eltern zu ehren, natürlich auch auf die Persönlichkeit der Eltern aus.
 
Dabei spreche ich hier vom Minimum. Es gibt die Geschichte eines Rabbis, dessen Mutter im Alter senil wurde, oft barfuss auf die Straße lief und sich wirklich oft peinlich verhielt. Der Rabbi ging auf die Knie und legte seine Hände unter die Füße seiner Mutter, damit sie sich mit ihren bloßen Füßen nicht am Boden verletzte. Er hätte auch sagen können: „Meine Mutter ist senil, man sollte sie einsperren.“ Doch er respektierte in seiner Mutter das Geschenk des Lebens, das Gott ihm durch sie geschenkt hatte. Die Verantwortung eines Kindes den Eltern gegenüber ist sehr tiefgehend. Aber heute sieht man es so oft, dass Eltern ihren Kindern im Alter einfach nur lästig werden und man es eilig hat, sie aus dem Weg zu schaffen und nur noch am Muttertag den obligatorischen Pflichtbesuch mit ein paar Blümchen abstattet.   
 
In Fällen, wo Eltern ihren Kindern ernsthaften Schaden zugefügt haben, empfindet das Kind oft eine gerechtfertigte Wut. Gott gibt ein neues Leben einer Familie als Geschenk und wenn solch ein Kind als selbstverständlich erachtet oder sogar misshandelt wird, statt es zu ehren, ist das auch eine Beleidigung Gottes. Ein solches Kind wächst nun entweder zu einem Erwachsenen heran, der eine vermischte „Hassliebe“-Beziehung zu seinen Eltern hat oder die Beziehung zu ihnen gänzlich abbricht oder nach außen hin sogar eine liebevolle Beziehung mit ihnen lebt, die vorhandene tiefere Ängste oder Verletzungen überdeckt.
 
Letzteres ist die typische Familiensituation, wo man zu den Pflichtbesuchen und jährlichen Familienfesten geht und Fotos macht, doch unter der Oberfläche brodelt eine ganze Menge Ärger und Schmerz. Wie ist man angesichts des fünften Gebots solch einer Lage gewachsen? Wie geht man mit solch einer Situation um?
 
Ich denke, dass an diesem Punkt entscheidend ist, zu begreifen, dass es dabei nicht nur um unsere Eltern geht, sondern auch um uns selbst. Denn ein Teil der negativen Auswirkungen, die ein schlechtes Elternhaus auf ein Kind hat, besteht darin, dass das Kind sein Selbstwertgefühl und die Zuversicht verliert, die in einem liebevollen Zuhause kultiviert werden und einem Menschen ein wirkliches Zugehörigkeitsgefühl vermitteln.  
 
Ein Seelsorger hat einmal auf einem Seminar mit 50 bis 60 Leuten alle Teilnehmer aufgefordert, die Augen zu schließen und sich die Augenblicke kurz nach ihrer Geburt vorzustellen. Er sagte: “Sie werden jetzt gerade von Ihrer Mutter and die Brust gedrückt und sanft gewiegt und Sie hören ihren Herzschlag.” Dabei wurde im Raum eine CD mit entsprechenden Geräuschen abgespielt. Der Herzschlag ist ja ein sehr beruhigendes Geräusch mit einer bestimmten Symmetrie, einem gewissen Rhythmus, wie Wasserrauschen. Er sagte weiter: “Sie werden nun in der Welt willkommen geheißen. Sie hören die Worte Ihrer Mutter: „Ich halte dich immer ganz fest. Ich habe nun so viele Monate auf dich gewartet. Ich habe ein schönes Zimmer für dich eingerichtet, mit einem eigenen Bett. Was auch immer du jemals in deinem Leben brauchst, du kannst dich immer an mich wenden. Ich bin immer für dich da, egal was passiert. Du darfst nie vergessen, dass da jemand ist, der dich fest ans Herz drückt.” Und diese Wärme, die eine Mutter dem Kind vermittelt, ließ fast jeden im Raum anfangen zu weinen, denn dieses Experiment sollte den Kontrast aufzeigen, wie viele von uns sich in Wirklichkeit fühlen wenn es um diese Art von Geborgenheit und Wärme geht.
 
Denn das ist es, was gute Eltern tun. Es ist eine unsichtbare Botschaft, denn das Kind versteht ja die äußeren Worte nicht. Aber es ist ein Gespür von Zugehörigkeit, ein inneres Wissen, dass da jemand ist, der es hält und dass es da ein felsenfestes Fundament gibt, auf das es sich immer verlassen kann. Es ist einfach diese Grundlage im Leben, die uns unser Selbstwertgefühl und unsere Würde vermittelt – das Gefühl, dass wir bedingungslos angenommen sind.  

Ohne das kannst du alle anderen Werkzeuge haben – die Intelligenz, die Emotionen – aber du hast diese Sicherheit nicht. Eltern sollen ihren Kindern das vermitteln. Wenn das nicht der Fall ist, wächst das Kind zu einem Erwachsenen heran, der immer unsicher ist.
 
Selbst im gesündesten Zuhause bleibt durch Arbeitspflichten und Berufstätigkeit der Eltern immer ein gewisses Maß an Fehlzeiten. Doch das ist selbst im krassesten Fall nicht mit offenem Missbrauch vergleichbar.  
 
Das Gebot, die Eltern zu ehren, kann also wirklich eine Herausforderung sein. Dabei geht es nicht nur um die Beziehung mit den Eltern, sondern auch um die Beziehung zum eigenen Leben. Zur Erinnerung: Was deine Eltern dir geschenkt haben, war dein Leben. Und wenn sie dir nicht das beste Elternhaus geboten haben, dann hat deine Reaktion auf deine Eltern immer auch Auswirkungen auf dein eigenes Leben.
 
Deine Eltern zu ehren gleicht also der Aufforderung, das Leben zu ehren, das dir geschenkt wurde, selbst wenn deine Zeugung fast „zufällig“ geschah oder deine Eltern alles mögliche getan haben, um dieses Leben zu zerstören. Selbst im schlimmsten Szenario – das Leben ist immer noch da. Solltest du dieses Leben nicht ehren, wirst du nicht nur ein Opfer deiner Eltern, sondern du wirst dich weiterhin selbst hassen und Gott sowie deiner eigenen Seele Unehre machen.  
 
Genau genommen geht es also beim Ehren unserer Eltern um unsere Verbindung zu Gott. Als Moses mit den beiden Tafeln vom Berg Sinai kam, auf die die Zehn Gebote geschrieben waren, standen auf jeder Tafel fünf Gebote. Dabei bezogen sich die Gebote auf der ersten Tafel auf die Beziehung zwischen Mensch und Gott und die Gebote auf der zweiten Tafel auf zwischenmenschliche Beziehungen. Das Gebot, die Eltern zu ehren, steht auf der ersten Tafel und bezieht sich auf unsere Beziehung mit Gott. Nun könnte man natürlich leicht argumentieren, dass das Ehren der Eltern doch eigentlich in die Kategorie unserer Beziehungen mit anderen Menschen fällt. Doch wenn wir uns an das bereits Gesagte erinnern, dann erkennen wir, dass es sich eigentlich um eine Sache zwischen uns und Gott handelt. Natürlich ist der Übergang fließend und in gewisser Weise ist das fünfte Gebot das Bindeglied zwischen den ersten fünf Geboten und den folgenden. Vielleicht hat Gott es daher bewusst an die fünfte Stelle gesetzt.
 
Das Ehren der Eltern ist ein absolutes Gebot ohne Bedingungen, weil es im Kern um die Wertschätzung des Lebens geht. Selbst wenn du Eltern hattest, die deinen Respekt oder deine Liebe eigentlich nicht verdienen, bleibt zumindest (selbst im schlimmsten Fall) immer noch das Element übrig, dass du durch sie geboren wurdest. Zumindest das kannst du ehren, selbst wenn du keinen Kontakt mehr mit deinen Eltern hast oder sie schon verstorben sind. Aber was bedeutet das ganz praktisch?
 
Es gibt auch indirekte Wege, wie du deine Eltern ehren kannst, zum Beispiel durch Gebet. Du kannst dafür beten, dass sie das Licht erkennen, dass sie geheilt werden, dass sie ihre eigene Seele verstehen, dass sie sich selbst und anderen vergeben – oft sogar ihren eigenen Eltern. Das bedeutet nicht, dass du dir Missbrauch gefallen lassen musst. Manchmal kann es daher sogar nötig sein, sich zurückzuziehen – aber du kannst für sie beten.  
 
Wer das Glück hatte, relativ gesunde Eltern zu haben, braucht natürlich keine Erklärung dafür, weshalb wir sie ehren sollten, doch selbst in diesen Fällen kann jeder von uns dabei noch ein Stück tiefer gehen, wenn wir uns bewusst machen, dass sie Teil der Lebenskette sind. Sie sind Teil der Kette, die dich dahin gebracht hat, wo du bist und dir die Ressourcen gibt, die es dir möglich machen, deinen Beitrag in dieser Welt zu leisten.
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